Wednesday, August 11, 2010

ANGST.MACHT.RAUM. Teil 2: Pressetext (DE)

ANGST. MACHT. RAUM. Teil II

Mit Videoarbeiten von William E. Jones, Zhenchen Liu und Clemens von Wedemeyer

Kuratiert von Viktor Neumann 

ANGST. MACHT. RAUM. untersucht Mechanismen und Strategien der Generierung von Angst innerhalb der Ökonomie der Macht, angetrieben in territorialen, kulturellen und medialen Räumen als Orte von In- und Exklusion.

Der im Senatsreservespeicher präsentierte zweite Teil der Ausstellungsreihe fokussiert das Verhältnis sozialer und physischer Räume unter der speziellen Perspektive politischer und ökonomischer Relationen.

In aktuellen Debatten existieren heterogene Raumbilder und -konzepte nebeneinander; die Frage, wie Raum behandelt wird, rückt in den Vordergrund. Die ehemals deutlich definierten Grenzen von innen und außen, eigen und fremd, privat und öffentlich sind nicht aufgelöst, sie werden vielmehr diffuser. Gerade diese Unklarheit provoziert Anstrengungen seitens der politischen und ökonomischen Machtinhaber, die als Gefahr wahrgenommene Komplexität gegenwärtiger Ausdifferenzierungen einzudämmen. Mittels strategisch-repressiver Machtpolitiken und technokratischer Raumordnungsmodelle gilt es, unerwünschtes Verhalten zu normieren oder zu exkludieren, um erneute Grenzziehungen zu etablieren.

ANGST. MACHT. RAUM. Teil II präsentiert drei Videoarbeiten, die sich dezidiert mit dem Verhältnis zwischen Raum- und Machtordnung auseinandersetzten:


William E. Jones Tearoom (1962/2007) basiert auf einem gefundenen Band von Polizeiüberwachungsaufnahmen einer Herrentoilette in Mansfield, Ohio aus dem Jahr 1962, auf denen Männer verschiedensten Alters, Klasse und Hautfarbe sexuellen Aktivitäten nachgehen. Jahre vor der Stonewall-Bewegung und der rechtlichen Legalisierung von Homosexualität, diente das durch einen Spionspiegel aufgenommene Filmmaterial vor Gericht als Beweismittel, alle 38 identifizierten Männer zu verurteilen. Die gesetzlich festgelegte Mindeststrafe für Sodomie betrug ein Jahr Zuchthaus und psychiatrische Behandlung samt den gängigen Methoden wie Elektroschocks oder Drogenzufuhr. Die sexuell expliziten Bilder mit der ihr eigenen Ästhetik farbiger Körnigkeit einer 16mm-Aufnahme und den kurzen, teils repetetiv und performativ anmutenden Takes entbehren jedoch jeglicher Erotik: Mimik und Körpersprache zeugen von einer Furcht, die das Verlangen zu überschatten und das Schicksal zu prophezeien scheint. Jones minimale Bearbeitung des Materials – er fügte lediglich Titel und Credits hinzu und setzte die letzte Sequenz der polizeilichen Instruktionen an den Anfang – bewahrt die artefaktische Dimension des Ursprungsmaterials. Die Reautorsierung des Dokuments erzählt von einer unterdrückten Geschichtsschreibung der Männer, deren Individualität von einer sie auf ihre Sexualität reduzierenden Gewalt geleugnet worden ist.

Zhenchen Lius Under Construction (2007) ist der zweite Teil einer Trilogie über den explosionsartigen städtebaulichen Wandel Shanghais. Aus digitalen Einzelbildern und computergenerierten Animationen setzt sich eine 3D-Kamerafahrt über die im Rahmen der Modernisierungswelle abgerissenen Häuser eines ehemaligen Altstadtviertels zusammen. Die Kamera schwebt über den Ruinen des Bezirkes unbehindert durch Wände und Fenster, während ab und an schemenhafte Figuren in der Schuttlandschaft auftauchen. Die hyperreale Bildsprache wird durch im Dokumentarstil gehaltene Begegnungen mit zwei Bewohnern des Viertels gebrochen und in eine brutale Realität überführt: physisch und psychisch misshandelt, zum Wegzug oder in die Obdachlosigkeit gedrängt, spricht aus ihnen nur noch eine Angst vor dem selben Schicksal, wie es jährlich etwa hunderttausend Menschen in Shanghai ereilt. Territorial separiert und durch multiplikatorische Exklusion in das gesellschaftliche Abseits gedrängt, kommen die Individuen nur mehr als Körper vor, einzig und allein damit beschäftigt, den nächsten Tag zu überstehen. Der vormalige Lebensraum wird vom Reißbrett auf neu erfunden, um ökonomische und repräsentative Interessen zu befriedigen. Das einzelne menschliche Schicksal unterliegt den technokratischen Raumordnungsmodellen.

Clemens von Wedemeyers Otjesd (Weggang/Leaving) (2005) erzählt von einer Gruppe von Menschen, die versuchen, in das deutsche Konsulat in Moskau zu gelangen, um ein Visum für ihre Ausreise zu erhalten. Als Plansequenz in einem Waldstück bei Berlin gedreht und als Loop konzipiert, folgt Otjesd einer jungen Frau, die sich in einem heterotopen Raum ihren Weg zwischen überwachend-administrativer Bürokratie und Gruppendynamiken zu bahnen sucht: Durch Zäune und Sicherheitskontrollen begrenzt, trifft sie während ihres Aufenthaltes in der Wartezone auf Beamte, Verkäufer, banale Restriktionen und eine Masse weiterer Antragsteller, die mal lakonisch mit sich selbst beschäftigt sind, mal die obrigen Disziplinierungen unter ihresgleichen weiterführen. Der Loop erhält eine zentrale inhaltliche Dimension: gefangen in einem auf Machtverhältnisse reduzierten Raum, wird der jungen Frau immer und immer wieder der Zutritt in das Konsulat verwehrt; sie muss in einer restrektierten Zwischenwelt verharren. Von Wedemeyer erkundet, inwiefern Grenzen von Nationalstaaten oder gar Systemen aufgrund gesellschaftspolitischer Umbrüche nicht einfach verschwinden, sondern an anderen Stellen in neuer, vielleicht weniger klarer Form wieder auftauchen. Die heilsbringerisch gelobten Möglichkeiten der Grenzüberschreitung, der Wandel von Raumvorgabe zu Raumwahl, gilt dabei keineswegs für jeden in gleichem Maße.
Otjesd wird auf Wunsch des Künstlers zusammen mit The Making of Otjesd (2005) präsentiert.

ANGST. MACHT. RAUM. Teil II
Senatsreservespeicher, Cuvrystr. 3, Berlin-Kreuzberg
Ausstellungsdauer: 14.08. – 22.08.2010
Kuratiert von Viktor Neumann

Arbeiten:
William E. Jones
Tearoom, 1962/2007
16mm film transferred to video, 56:00, color, silent

Zhenchen Liu
Under Construction, 2007
DVD, 9:55 min., color , sound

Clemens von Wedemeyer
Otjesd (Weggang/Leaving), 2005
16mm film transferred to DVD, stereo, color loop

The Making of Ostjed, 2005
Video/DVD, stereo, loop, 10:00 min

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